Hi,
ich halte mich schon seit Tagen zurück, etwas zu diesem Thema zu schreiben, weil dies zu weitgreifenden Auseinandersetzungen mit Religion, deren Geschichte und gesellschaftlicher Funktion führt. Naja, ich stürze mich mal ins kalte Wasser und schreibe doch etwas dazu.
Liveguard sagte am 28.10.2008, 21:54:
Sie haben sie umgebracht, weil sie nicht den Glauben der Kreuzritter hatten, hätte man die gleichen Leute umgebracht, wären sie Christen gewesen?. Natürlich glaubten sie, was sie tun würde Gott für richtig halten. Ich muss zugeben, dass ich mich nicht sehr damit auskenne, aber schlussendlich könnte man so ja jede Aktion auf die Religion zurückführen (Gott/Satan/Budda/etc. hat mich beauftragt, das und das zu tun).
Devil K1ller sagte am 29.10.2008, 14:53:
2) Die Kreuzritter wurden nur sekundär vom christlichen Glauben angespornt. Es war viel mehr ein Beutezug. Denn es war klar, dass es in der Region um Jerusalem viel zu holen gab. Da war die Religion gerade ein guter Anlass um dort einzumarschieren.
Das kann man ungefähr mit Bushs Versuch, Demokratie im Irak einzuführen, vergleichen. Denn letztendlich geht es doch eh nur um Öl.
Nun ist es leider schon etwas her, dass ich mich mit den Kreuzzügen beschäftigt habe, aber soviel dazu:
Die Kreuzritter des ersten Kreuzzugs, die sich ideologisch die Befreiung Jerusalems aus den Händen der Heiden auf die Fahnen geschrieben hatten und auch den päpstlichen Auftrag dazu hatten, haben mit ihren Plünderungen nicht erst bei den Heiden begonnen, sondern sind marodierend durch das Ost-Römische Reich -- dem Landweg nach Jerusalem -- gezogen und haben dort jede Menge Christen über die Klinge springen lassen. Möglicherweise glaubten die Anführer anfangs zum Teil wirklich an ihre "heilige Mission", ihre Truppen sicherlich nicht, die sich den Kreuzzügen in der Hoffnung auf durchaus irdisches Glück anschlossen. Dass der byzantinische, christliche Kaiser den Kreuzzügen nicht seine volle Unterstützung bewilligte und schon von vornherein mit Misstrauen gegenüber stand, ist daher leicht verständlich, da er genau dies befürchtete, was auch tatsächlich geschah. Allerdings hätte er sich die Unterstützung seines eigenen Reiches gegen die islamischen durch westeuropäische Söldner gewünscht, nicht aber selbständige Fürsten, die ihre eigenen Königreiche gründeten.
In Jerusalem angekommen, stellten die Kreuzritter Massaker an der Bevölkerung an, und zwar unabhängig des Glaubens der einzelnen Bewohner. Es lebten viele Christen in Jerusalem, weil die derzeitige (islamische) Herrschaft der Seldschurken recht tolerant der christlichen Religion gegenüber eingestellt war.
Insgesamt ging es bei den Kreuzzügen weniger um Glaubensrichtungen, sondern um die Klärung der Machtverhältnisse im nahen Osten. Es standen sich nicht Christentum und Islam gegenüber, sondern verschiedene Herrscher mit ihren jeweiligen konkurrierenden Machtinteressen. Auch spielten die christlichen Kaiser nicht in einer Liga, sondern das Schisma von West- und Ostrom hatte einen beständigen Machtkampf der beiden großen christlichen Reiche zur Folge. Dies führte in einem der folgenden Kreuzzüge sogar so weit, dass die Kreuzfahrer nach einem Misserfolg gegen die sarazenischen Reiche sich zurück nach Byzanz wandten und dieses eroberten. Ein Zitat des derzeitigen byzantinischen Kaisers(aus dem Gedächtnis): "Oh, wären wir doch besser von den Heiden erobert worden, die wären gnädiger mit uns verfahren."
An den geschichlichen Vorgängen der Kreuzzüge blamiert sich die populistische Pseudo-Kritik, das Christentum hätte so viel Leid durch dieselben hervorgerufen. Die Ursachen des Leids liegen in den ganz handfest materiellen Interessen der Regenten. Gleichwohl lässt sich meineserachten sagen, dass die Religion hieran eine Mitschuld trifft, insofern, als dass sie dem Einzelnen eine verkehrt Welt vorspiegelt und ihnen falsche Hoffnungen verspricht. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Selbstmordattentätern. War während der Zeit der Kreuzzüge noch das Wohl des Einzelnen durch die Beute mit seiner ideologischen Rechtfertigung verknüpft, so ist jene Verkehrung beim Selbstmordattentat ins absolute Extrem geführt. Der Täter hofft dabei tatsächlich auf die Zusammenkunft mit seinem göttlichem Reich. Die Märtyrergesinnung setzt sich dabei zusammen aus dem Glauben, durch die freiwillige Hingabe des eigenen Lebens für das höhere Ganze im Diesseits einen Fortschritt zu erzielen, als auch zur eigenen, jenseitigen Glückseligkeit zu gelangen. Dies ist eine brisante Mischung im wahrsten Sinne des Wortes.
Nun halten viele Christen oder Muslime dagegen, dass weder die damaligen Geschehnisse der Kreuzzüge noch die heutigen Taten der Extremisten mit den moralschen Grundsätzen der jeweiligen Religion übereinstimmten. Das tun sie auch nicht, aber die Verkehrung der wirklichen Verhältnisse in durch göttliche Macht bestimmte und mit göttlichen Heilsversprechungen verbundene bietet die Grundlage für die erbarmungslose Handlung anderen und sich selbst gegenüber. Die Moral der Religion ist durch nichts anderes garantiert als durch göttliche Offenbarung, nicht aber durch Vernunftgründe. Diese göttliche Offenbarung kann daher auch Erfordernisse an den Fanatiker stellen, die im Widerspruch zur Moralität der Religion stehen. Selbst der Verzicht auf die eigene Seligkeit ist möglich, da jeder nur ein kleines Rädchen im göttlichen Getriebe ist und dadurch selbst im Verstoß gegen die göttlichen Gebote noch den göttlichen Willen erfüllt.
Diese prinzipielle Verkehrung kann ich nicht besser in Worte fassen als einer meiner Lieblingsautoren, daher hier ein Zitat. Bitte um Entschuldigung, es wird etwas länger, aber einzelne Passagen herauszureißen hätte keinen Sinn.
Zitat
Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.
Die profane Existenz des Irrtums ist kompromittiert, nachdem seine himmlische oratio pro aris et focis[Gebet für Altar und Herd] widerlegt ist. Der Mensch, der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat, wird nicht mehr geneigt sein, nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muß.
Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewußtsein und Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät. Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt, ihr enzyklopädisches Kompendium, ihre Logik in populärer Form, ihr spiritualistischer Point-d'Honneur[Ehrenpunkt], ihr Enthusiasmus, ihre moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund. Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt. Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.
Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.
Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.
Die Kritik hat die imaginären Blumen an der Kette zerpflückt, nicht damit der Mensch die phantasielose, trostlose Kette trage, sondern damit er die Kette abwerfe und die lebendige Blume breche. Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt.
[...] Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, [...] nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der der Theologie in die Kritik der Politik.
Na, wer das wohl geschrieben hat?
[spoiler]K. Marx,
Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung. MEW Bd. 1, S. 378f[/spoiler]
Nun endlich zurück zum Ausgangspunkt, nämlich dem Bibelzitat auf dem ausgestellten Schild. Im Prinzip steht in dem Zitat schlicht nur das Heilsversprechen, welches durch das christliche Symbol des Kreuzes, welches dahinter auf dem Bild zu sehen ist, schon bezeichnet ist. Es ist quasi ein Untertitel zum Bild, und dabei sehr passend gewählt.
Hmm, ist das krank? --- Nicht mehr oder minder als andere Fluchtmöglichkeiten vor den wirklichen Verhältnissen. Ich würde es eher als verzweifelten Aufschrei eines Menschen oder einer Selbsthilfegruppe bezeichnen, in der Öffentlichkeit noch um Aufmerksamkeit für ihren Glauben zu erheischen. Dass der- oder diejenigen es für nötig erachten, dem Kreuz einen Untertitel beizufügen, zeugt meiner Meinung nach davon, dass sie im täglichen Leben beständig auf Unverständnis für ihren Glauben und dessen Grundsätze stoßen. Da steckt also schon noch die Sehnsucht nach besseren Verhältnissen dahinter. Der oben zitierte Satz "Das
religiöse Elend ist in einem der
Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die
Protestation gegen das wirkliche Elend." trifft es, denke ich.
Gleichwohl ich solche Religiösität für einen Rückschritt hinter die Erkenntnisse des 17. und 18. Jhdrts. halte, steckt immerhin noch ein metaphysischer Aufschrei nach einer menschlich adäquaten Existenz dahinter. Wenn dies krank sein sollte, so ist es nur ein Symptom einer kranken Gesellschaft.
Die gedankenlose Belustigung darüber ist meineserachtens genauso "krank", weil sie nicht die dahinterstehenden Menschen respektiert und sich nicht die Mühe gibt, sich in deren Position hineinzuversetzen, und daher auch nicht die dahiterstehende Verzweifllung der Subjekte an den Verhältnissen versteht.
Nun, jetzt mache ich aber Schluß an dieser Stelle, sonst würde es noch zur Kulturindustrie weitergehen, die in den heutigen modernen Gesellschaften größtenteils die Funktion der Religion übernommen hat.
Gruß, Gari
Dieser Beitrag wurde von Gari bearbeitet: 29. Oktober 2008 - 21:50 Uhr